Viel gelernt: Abschluss des Projekts NAF-Bus

Für Autokraft verlief das Projekt NAF-Bus leider nicht wie geplant an: Nur rund vier Wochen, und somit deutlich kürzer als gedacht, konnten wir unseren autonom fahrenden Bus testen. Und dies nicht zu den Bedingungen und Möglichkeiten, die wir uns beim Projektstart im Jahr 2017 erhofft und vorgenommen hatten. Doch sind wir nur ein Verbundpartner im Projekt, das am Ende zu zahlreichen Erkenntnissen und Erfahrungen geführt und viele neue Forschungsfragen und Handlungsempfehlungen für Politik und Hersteller ausgesprochen hat.

Zunächst ein kurzer Überblick: NAF-Bus war ein Kooperationsprojekt für die Entwicklung und Evaluierung eines ÖPNV-On-Demand-Angebotes mit autonomen Fahrzeugen im öffentlichen Personennahverkehr in ländlichen Regionen, das von der EurA AG koordiniert wurde. Es wurde durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Rahmen der Förderrichtlinie „Automatisiertes und vernetztes Fahren" gefördert.

Meilensteine:

© EurA AG, Christina Petersen
  • Im Juli 2017 startet das Projekt mit dem Förderbescheid des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI).
  • Mitte Juni 2018: Der NAF-Bus „EMil“ des Herstellers EasyMile nimmt auf dem Privatgelände des GreenTEC Campus in Enge-Sande den Betrieb auf.
  • Mai 2019 bis Oktober 2020: Die Sylter Verkehrsgesellschaft testet den NAF-Bus „AutoNom“ des Herstellers Navya auf öffentlichen Straßen in Keitum auf Sylt.
  • Herbst 2019: Die geplante Auslieferung des autonomen Fahrzeugs der Hanseatischen Fahrzeug Manufaktur (HFM) an Autokraft verschiebt sich herstellerseitig.
  • 2020: Bedingt durch die Corona-Pandemie kommt es zu Lieferengpässen und weiteren Verzögerungen beim Fahrzeughersteller. Die EurA AG stellte nach Absprache mit allen Konsortiumpartnern einen Antrag auf sechsmonatige Projektverlängerung von Juni 2020 bis Dezember 2020, welche genehmigt wurde. Eine weitere teilbasierte neunmonatige Projektverlängerung für Autokraft GmbH, Interlink GmbH und EurA AG erfolgte bis Ende September 2021.
  • Mai 2021:  Ein weiterer Liefertermin für das Fahrzeug kann nicht gehalten werden. Am 1. September 2021 wird der NAF-Bus schließlich offiziell an Autokraft übergeben. Ein Test im Regionalbusverkehr ist nicht mehr möglich.

Der NAF-Bus von Autokraft

© HFM, Wolfgang Bern

Der für den Einsatz bei Autokraft entwickelte NAF-Bus stammt vom Fahrzeughersteller Hanseatische Fahrzeug Manufaktur GmbH (HFM) mit Sitz in Holm im Kreis Pinneberg. Der Bus ist bei dem norddeutschen Autobauer einer der ersten Prototypen seiner Art, viele Komponenten wie etwa die Antriebseinheit oder die Steuerungstechnik für den autonomen Betrieb sind komplette Neuentwicklungen. Solche Pionierarbeit lässt sich zeitlich schwer planen – am Ende konnte Autokraft den automatisierten Modus nicht nutzen, da die dafür notwendige Sensorik innerhalb des verbliebenen Projektzeitraums nicht mehr rechtzeitig in Betrieb genommen werden konnte und die nötige Streckeneinmessung im Verhältnis zur möglichen Einsatzzeit zu aufwendig gewesen wäre. Das Sammeln wissenschaftlicher Erkenntnisse zum autonomen Fahren war für Autokraft so leider nicht möglich.

Testphase in Lunden/Lehe im September 2021

Der autonome Betrieb ist nach derzeit geltendem Recht nur in ganz bestimmten Umgebungen erlaubt und technisch realisierbar. In enger Abstimmung mit den Akteuren vor Ort aus der Politik, dem Straßenverkehrsamt und der Polizei fiel die Streckenauswahl auf die Anbindung der Ortschaft Lehe an den Bahnhof in Lunden. Diese Verbindung fehlt derzeit im ÖPNV – ist somit sinnvoll für potenzielle Fahrgäste – und durch die ohnehin geltende Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h auf dieser Strecke wurde die Geschwindigkeitsdifferenz zu anderen Verkehrsteilnehmenden nicht zu hoch, denn das Fahrzeug konnte im Betrieb mit Operator 25 km/h schnell fahren. Aufgrund steigender Corona-Fallzahlen ab September 2021 blieb es Autokraft verwehrt, bei Fahrgästen für die Mitfahrt im NAF-Bus zu werben. Der autonome Betrieb war, wie oben beschrieben, leider nicht möglich. Unsere Erfahrungen belaufen sich daher vor allem auf die Vorbereitung und die Abstimmungsbedarfe mit den Partnern vor Ort.

Learnings aus dem Projekt

  • Das autonome Fahren ist eine vielversprechende Technologie, die zukünftig zur Verbesserung des ÖPNV-Angebots beitragen und ein wichtiger Baustein für die Verkehrswende sein kann.
  • Der Einsatz auf der letzten Meile ist ein absolut denkbares Szenario für die Zukunft. Auch in geographischen Räumen mit geringerer ÖPNV-Nachfrage wäre der Einsatz von autonomen Kleinbussen eine Lösung.
  • Ob und wann sich die Technologie durchsetzt, hängt auch von den rechtlichen Rahmenbedingungen  ab (Fahren ohne Operator, höhere Geschwindigkeiten etc.).
  • Ein Einsatz ohne Operator ist noch nicht möglich, der Einsatz mit einem Operator aber ist bezogen auf einen großflächigen Einsatz im ÖPNV zu kostenintensiv. Ein wirtschaftlicher Betrieb ist unter den heutigen Voraussetzungen noch nicht möglich – das ist auch die Erfahrung aus dem Projekt auf Sylt. Sobald die Fahrzeuge ohne Operator verkehren dürfen, wird der Einsatz für die ÖPNV-Unternehmen stärker in den Fokus rücken: Autonomes Fahren weckt die Hoffnung, fehlende Personalkapazitäten insbesondere in ländlichen Gegenden auszugleichen.
  • Die derzeit erreichten Höchstgeschwindigkeiten reichen für einen effizienten ÖPNV-Betrieb nicht aus bzw. wären die Fahrzeuge heute auf öffentlichen Straßen eher ein Hindernis. Für Fahrgäste ist die Nutzung hauptsächlich dort attraktiv, wo ein autonomer Shuttle einen Fußweg ersetzt, aber nicht unbedingt, um im Alltag schnell von A nach B zu kommen.
  • Ein wichtiger Faktor ist die Entwicklung auf dem Fahrzeugmarkt: Die noch zu hohen Investitionen für die Fahrzeuge schrecken die meisten Unternehmen von einer Anschaffung ab. Da vermehrt Hersteller vor dem Marktdurchbruch stehen, ist hier auf lange Sicht mit sinkenden Preisen zu rechnen.
  • Alle beteiligten Akteure haben umfangreiche Erfahrungen gesammelt bei den vorbereitenden Arbeitsschritten, etwa der Abstimmung mit zuständigen Zulassungsbehörden, der Beschilderung der Strecke, bei Gesprächen mit dem TÜV Nord und Schulungen der Fahrer bzw. Operatoren. Eine Standardisierung von Zulassungs- und Prüfprozessen wird zukünftig notwendig sein.
  • Gesellschaftliche Akzeptanzanalysen im Rahmen des Projekts zeigten großes Interesse der Fahrgäste an der neuen Technik.
  • Breite Netzwerke im Bereich des automatisierten und vernetzten Fahrens wurden aufgebaut, die eine weitere Zusammenarbeit in Folgeprojekten versprechen.

Abschlussbericht

Wie geht es weiter?

Naf-Bus
© Wolfgang Bern, HFM

Im Rahmen des Projektes und bei den unterschiedlichen Projektpartnern sind viele neue Forschungsfragen entstanden. Etwa die Frage, wie sich der Einsatz eines autonomen Shuttles im rein ländlichen Bereich realisieren und wirtschaftlich betreiben lässt. Denn alle Fahrzeughersteller legen in der Regel für ihre Shuttles entweder Städte oder kleine Gemeinden als Einsatzort fest. Der Betrieb in einem sehr ländlichen Bereich findet im Moment keinerlei oder nur wenig Betrachtung. Gerade hier wäre eine Weiterentwicklung wünschenswert.

Hinsichtlich des Betriebs ohne Operator ist noch unklar, wie die Steuerung und Überwachung der Fahrzeuge aussehen werden. Denkbar wäre die Möglichkeit eines aktiven Eingreifens vom Leitstand aus: Hierfür würde sich das teleoperierte Fahren eignen, bei dem der Supervisor im Leitstand die Möglichkeit hätte, z. B. per Joystick das Fahrzeug um ein Hindernis herum zu fahren. Der momentan erlaubte Betrieb eines autonomen Shuttles ist mit der Auflage verbunden, dass ein ausgebildeter Operator sich im Fahrzeug befindet und dieses begleitet. Durch den No-Op-Betrieb könnte ein Supervisor mehrere Fahrzeuge überwachen. Für einen reibungslosen Betrieb wären dann ein Supervisor und ein Field-Operator für den technischen Vor-Ort-Service nötig. Ab einer Flottengröße von drei Fahrzeugen wären die wirtschaftlichen Vorteile dann schon gegeben. Offene Fragen gibt es beim Betrieb ohne Operator aber auch noch bei Themen wie Zustiegs- und Fahrausweiskontrollen.

Ein großer Entwicklungsbedarf besteht noch bei vielen digitalen Themen wie Streckeneinmessung, Kartenmaterial, Datentransfer, Datensicherheit und Netzstabilität zur besseren Ortung und Übertragung von Echtzeitdaten – dies gerade auch in ländlichen Regionen oder in urbanen Räumen wie Parkhäusern. Für einen On-Demand-Service mit autonomen Fahrzeugen müssten von den Fahrzeugherstellern Schnittstellen geschaffen bzw. offengelegt werden. Auch der Betrieb mit mehreren Fahrzeugen, ggf. unterschiedlicher Hersteller, wäre ein mögliches zukünftiges Testszenario.

Bei der Weiterentwicklung der Fahrzeuge geht es um höhere Geschwindigkeiten, Wetterunabhängigkeit oder auch die Ausstattung mit einer ausgereiften künstlichen Intelligenz, die eine aktive Entscheidungsfindung des Fahrzeugs ermöglicht – heute sind Fahrzeuge lediglich reaktiv, wodurch beispielsweise Überholvorgänge nicht möglich sind. Die Fahrzeuggröße wird ebenfalls wachsen müssen – Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 2030 und 2035 größere autonome Busse hinzukommen, die für Einsatzszenarien wie Nacht-, Stadt-, Regional-, Schul- und Intercity-Busse geeignet sein könnten.

Autonomes Fahren bei DB Regio Bus in Bayern